Streit um Kirchenstühle
STREIT UM KIRCHENSTÜHLE (AUS DEM JAHR 1894)
Übertragung einer handschriftlichen Aufforderung des Presbyteriums der Kirchengemeinde Rödinghausen vom 9. März 1894, betr. Kirchensitze.
(Die Rechtschreibung und Zeichensetzung entspricht der im Original)
Rödinghausen, den 9. März 1894
Liebe Freunde und Gemeindemitglieder !
Wir hatten uns schon der Hoffnung hingegeben, daß der Prozeß wegen der Kirchensitze nicht zum Ausbruch kommen würde, nun dies aber leider doch geschehen ist, so halten wir uns, als Vertreter der Kirchengemeinde für verpflichtet, noch in letzter Stunde ein Wort herzlicher Bitte und ernstlicher Mahnung an Euch alle, wie an einem jeden insonderheit, zu richten, doch von diesem unter allen Umständen unheilvollen Prozeß Abstand zu nehmen.
Ihr stellt eine doppelte Forderung: 1. Ihr wollt für Eure alten Sitze in der neuen Kirche entsprechende Sitze unentgeltlich wieder haben; und 2. Wenn das nicht zu erlangen ist, so fordert Ihr eine sehr viel höhere Entschädigungssumme.
Was den ersten Punkt betrifft, so kann man es ja verstehen, daß namentlich einer, der das gewohnt ist, gern einen bestimmten Sitz für sich und die Seinigen in der Kirche haben möchte; und und wenn es in unserer Macht stünde, so würden wir gern diese Eure Forderung erfüllen. Aber bei einiger Überlegung werdet Ihr selbst gestehen müssen, daß es, ganz abgesehen davon, daß auf diese Weise der Kirchengemeinde ca. 80 der wertvollsten Kirchensitze an die nicht zur Gemeinde gehörigen Besitzer von Waghorst & Bökel von vornherein verloren gegangen wären, ein Ding der Unmöglichkeit ist, bei der vorhandenen Sachlage die bisherigen 830 (35.) im Stuhlregister aufgeführten Sitze durch eine gleiche Zahl in der neuen Kirche zu ersetzen. -
Es ist ja nicht richtig, was dem Konsistorium berichtet ist, daß die alte Kirche ca. 900 Sitze enthalten hätte und, daß diese in der neuen Kirche nicht wesentlich vermehrt wären. Denn die neue Kirche enthält annähernd 1000 schöne, brauchbare und angemessene Sitzplätze, während unter den 830 der alten Kirche viele waren, die in der That gar nicht den Namen eines Platzes verdienen, Sitze von nur 18 - 25 cm Breite und 60cm Tiefe, ein Platz auf dem kein Mensch sitzen kann, so daß einzelne Sitze kaum den 4.Teil eines Sitzes in der neuen Kirche an Flächeninhalt hatten, ganz abgesehen davon, daß der Kubikraum weit über die Hälfte vergrößert ist, so daß nun jedermann in der neuen Kirche, sowohl im Winter wie im Sommer am Gottesdienst teilnehmen kann, ohne Schaden an seiner Gesundheit zu nehmen. Wem daher das Gesamtwohl der Gemeinde am Herzen liegt, der sollte billig Gott danken, daß nun alle Gemeindeglieder, auch die sogen. kleinen Leute und Heuerlinge, einen Platz im Gotteshause finden können und daß wir von dem bisherigen jämmerlichen Zustand befreit sind. -
Es steht aber nun auch noch das geltende, gesetzliche Recht völlig auf unserer Seite. Vor uns liegt das kirchliche Amtsblatt vom Jahre 1877, in welchem sowohl alle dahingehörigen gesetzlichen Bestimmungen des allg. Landrechts, wie auch die diesbezüglichen, ergangenen Erkenntnisse des Obertribunals, das ist das für Preußen endgültig entscheidenden früheren obersten Gerichtshofes, aufgeführt sind. Die betreffende Darstellung schließt wörtlich so: " Um es zu wiederholen, der für die hier zu beantwortende Streitfrage endgültig entscheidende Gerichtshof erkannte an: Wird eine Kirche abgebrochen, so verliert der erblich Nutzungsberechtigte, auch wenn das Kirchenstuhlrecht Petrinenz etwa Immobile ist, das Recht auf einen Stuhl in der neuerbauten Kirche. Dasselbe gilt auch bei totaler od. theilweiser Umstuhlung des Gestühls. Nur Geldentschädigung kann der betreffende fordern. " -
Ganz in demselben Sinne urteilt aber auch das oberste Reichsgericht in Leipzig. Letzters hat 3 auf dasselbe hinauslaufende Erkenntnisse gefällt, nämlich vom 5.Mai 1882, vom 29.Juni 1886 und vom 19. November 1889. Das letztere, mitgeteilt in der neuen Kirchen-Ordnung Seite 187 lautet wörtlich: " Das mit dem Besitze eines Grundstücks verbundene Recht auf ausschließliche
Benutzung bestimmter Kirchenstühle erlischt,durch die Zerstörung der Kirche nicht. Zwar kann nach Wiederaufbau der Kirche nicht auf Zuweisung einer gleichen Anzahl entsprechender Sitze, wohl aber auf Entschädigung geklagt werden . " -
Hiernach muß also jeder, der nicht absichtlich die Augen zumacht, gestehen, daß dieser Teil des Prozesses für Euch völlig aussichtslos ist. -
Fast unbegreiflich ist uns Eure 2. Forderung auf höhere Entschädigung, da Ihr das Geld ja selbst mit aufbringen müßt und wenigstens die Wohlhabenden unter Euch großen Schaden dabei haben würden, falls Eure Forderung durchginge. Wir bemerken übrigens, daß die Festsetzung der Entschädigungssumme lediglich Sache der vereidigten Taxatoren war, und daß dem Presbyterium nichts anders übrig bleibt, als sich an diese Schätzung zu halten. Übringens sollte man meinen, daß gerade den größeren Grundbesitzern aus dem gesagten Grunde eine möglichst niedrige Abschätzungssumme erwünscht gewesen wäre. Ganz anders steht freilich die Sache für die beiden auswärtigen Besitzer von Waghorst & Bökel, die ja nicht zu unserer Kirchensteuer beitragen. Nachdem aber der Freiherr v. Ostmann, der für seine ca. 60 meist wertvollen Sitze allerdings nur 730 M erhält, obwohl er Katholik ist, auf den Weg eines Prozesses Dank unserer Bemühungen in hochherziger Weise verzichtet und Herr König auf Bökel sogar die ihm zufallende Summe zur Ausschmückung der Kirche geschenkt hat ( wie bekanntlich auch fast alle Stuhlbesitzer in Rödinghausen, Schwenningdorf und Bieren die betreffende Summe ganz oder teilweise zu demselben Zweck vermacht haben), so macht es in der That keinen guten Eindruck, wenn Ihr nun eine soviel größere Summe auf dem Wege der Klage zu erlangen sucht. -
Wenn übrigens die vom Herrn Höpker aufgestellte Taxe maßgebend gewesen wäre, dann würde Herr v. Ostmann ca. 4 - 5000 M.und Herr König ca. 1500 M. erhalten und die Gesamtvergütung ca. 40 000 M. betragen haben. Daß für den Fall, daß Ihr Eure Forderung durchsetzen solltet, was ja keineswegs anzunehmen ist, alle bisherigen Stuhlbesitzer unserer Kirchengemeinde in demselben Maße wie Ihr abzufinden sein würden, bedarf ja keines Wortes. Die Gesamtvergütungssumme würde alsdann 24 915 M. betragen.
Herr Höpker erhielte zwar 1000 M.zahlte aber dafür 2020 M. Steuer
Colon Haselhorst " " 150 " " " " 202 " "
" Kollmeyer Nr.3" " 150 " " " " 303 " "
" Grothaus zu W.4 " 120 " " " " 173 " "
" Johanningmeier Nr.5 " 130 " " " " 215 " "
" Hüffermann Nr.5 " 120 " " " " 271 " "
" Bösmann Nr. 1 " " 90 " " " " 207 " "
" Finke Nr. 7 " " 120 " " " " 163 " "
" Binnewitt Nr.6 " " 90 " " " " 194 " "
" Kemner Nr. 3 " " 180 " " " " 267 " "
Dazu kommen die bedeutenden Prozeßkosten, die Ihr allein zu tragen habt, falls Ihr verliert, und die Ihr mitzutragen habt, falls Ihr gewinnt.Es liegt also auf der Hand, daß ein solcher Prozeß, der aus 46 Einzel-Prozessen besteht,und der ohne Zweifel eine große Summe Geldes verschlingen und viel Aufregung und Erbitterung hervorrufen wird, notwendig zum Nachteil der Urheber ausschlagen muß. -
Selbstredend würden wir uns genötigt sehen, die untere Steuerstufe bei der Aufbringung des Geldes frei zu lassen, wodurch der erwähnte Nachteil noch erheblich größer würde. Sagt man nun aber: Warum ist denn eine so kostspielige Kirche zu Rödinghausen erbaut, warum hat man nicht statt dessen dafür Sorge getragen, daß in Westkilver gebaut wurde und so der Gemeinde
viel Geld erspart wäre, so antworten wir mit gutem Gewissen: Der Kirchbau in Rödinghausen war unumgänglich nötig und ist unter Gottes sichtbarem Beistande glücklich ausgeführt. Dadurch ist unsere alte, enge, kalte und dumpfe Kirche erst zu einem Gotteshause geworden, um das uns viele beneiden. Auch kostet der ganze Bau, einschließlich des Turmes und der Erdarbeiten, nicht 80 000 M., wie dem Kosistorium berichtet ist, oder gar 100 000 M.wie auch gesagt wird, sondern nach Abrechnung der Geschenke höchstens 65 000 M. Nimmt man aber hinzu, daß die unvorhergesehene, 3 - 4000 M. erfordernde Turmreparatur ganz abgesehen vom Kirchbau notwendig war, wenn uns der ganz baufällige Turm nicht eines Tages umfallen sollte, wie desgleichen die ganze Neubedachung des Chores, so kann man sagen, daß uns der Kirchbau an sich höchstens 60 000 M. kostet und wir meinen, daß das angesichts dessen, was geleistet ist, daß wir eine schöne, von innen und außen fast völlig neue und durchweg solide Kirche haben, höchst preiswürdig sei. -
Was aber Westkilver betrifft, so werdet Ihr selbst zugestehn müssen, daß nachdem seinerzeit die Teilung der Gemeinde unter Verlegung der 2. Pfarre nicht ohne Mitschuld Westkilvers gescheitert, nachdem alsdann der einzige noch mögliche Weg Ost.u.Westkilver Erleichterung zu verschaffen, nämlich das neue Pfarrhaus in Kilver erbauen, Eurerseits zurückgewiesen war, und nachdem endlich neuerdings der Staat die zur Anstellung eines Hilfsgeistlichen anfangs versprochenen 500 rth pro Jahr zurückgezogen hatte, es unsererseits schlechterdings unmöglich war, Eure Wünsche zu befriedigen. Daß die 2. Rödinghäuser Geistlichen nicht dauernd imstande sind, sonntäglich in Westkilver einen Vormittagsgottesdienst abzuhalten, hat schon jetzt die Erfahrung zur Genüge gezeigt. Zur Anstellung eines 3ten Geistlichen auf eigene Kosten und damit zur Anbahnung eines eigenen Pfarrsystems war und ist aber Westkilver selbstverständlich keineswegs bereit. Daß es aber unmöglich war, selbst wenn das ganze Presbyterium dafür eingetreten wäre, jetzt noch, nachdem das 2.Pfarrhaus erbaut ist, die 2. Pfarre nach Westkilver zu verlegen, darüber ist kein Wort zu verlieren. Aber selbst wenn dies geschehen wäre, wenn sogar die Kapelle zu Westkilver erweitert und ein großer Teil von Ostkilver dorthin gegangen wäre, so war doch der Umbau unserer Kirche und zwar in der gegenwärtigen Form und ähnlichem Umfange eine unabwendbare Notwendigkeit, da die alte Kirche, wenn sie mit anständigem und angemessenem Gestühl versehen werden sollte, für die übrige Gemeinde nicht ausreichte. Ein 2ter Flügel an der Nordseite nach Art des neuen Werkes hätte, ohne den nötigen Platz zu schaffen, die ganze Kirche für alle Zeiten verunstaltet und wäre weggeworfenes Geld gewesen . Wir bitten daher aufrichtig, herzlich und freundlich: Nehmt Abstand von einem Prozeß, der für Euch, wie für die ganze Gemeinde nur verderblich sein kann. -
Man liest, daß in alten Zeiten, wenn die Fastenzeit herankam um des Leidens Christi willen die schwierigsten Prozesse beigelegt sind und Ihr wolltet in dieser selben Zeit Eure eigene Kirchengemeinde durch einen unheilvollen Prozeß verwirren und Euer Gewissen dadurch
belasten ? ! Wir bitten nochmals dringend:
Thut es nicht, auch um Euer selbst willen. -+) Siehe Anmerk.
Wollt Ihr aber auf diese unsere freundliche Bitte und ernstliche Mahnung nicht hören und auf Eurem Vorhaben bestehen, so müssen wir Euch sagen, daß wir auch diese Sache getrost in Gottes Hand stellen, und nicht zweifeln, daß Gott mit uns sein wird.
Das Presbyterium : gez.: Grothaus. Koch. Buntemöller Nordmeyer. Langemeier. Hartmann. .
Breitensträter. Froböse Albertsmeier
Preckwinckel. Wihskamp .
Gronemeyer, P. --------------Hartmann, P. p.s.p.p.
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+) Anmerkung. Es wird bemerkt, daß es nur einer Erklärung den Pastoren gegenüber bedarf, um von dem Prozeß zurückzutreten.
Übertragen am 20.01.2001 v. Friedhelm Mailänder