Reformatorische Elemente des Rödinghausener Altarbildes

Predigt von Pfr. Gerhard Tebbe am 3.9.2017 in der Bartholomäuskirche

Für diese Predigt habe ich das Thema gewählt: „Reformatorische Elemente des Rödinghausener Altarbildes von 1520“. Damit stellt sich die Frage, welche reformatorischen Elemente weist der Rödinghausener Altar denn auf? 

Wir alle wissen, dass wir in diesem Jahr ein großes Reformationsfestjubiläum  feiern. Genau am 31. Oktober 2017 sind es 500 Jahre her, dass Martin Luther seine 95 Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg schlug. Dieses Datum gilt als Auftakt der Reformation.

Ist es dann aber wahrscheinlich, dass unser Altar, der eindeutig von 1520 stammt, der am Todesgedenktag von Petrus und Paulus, also am 29. Juni 1520, geweiht wurde, schon reformatorische Elemente enthält? Konnte sich das Gedankengut der Reformation in nur 3 Jahren schon so weit ausbreiten, dass davon Auswirkungen auf die Gestaltung des Rödinghausener Altarbildes zu erwarten sind?

Ich werde auf diese Frage zurückkommen. Doch um diese Frage beantworten zu können, möchte ich zunächst etwas zur Entstehung unseres Rödinghausener Altars sagen und darauf eingehen, wann sich denn überhaupt erstes reformatorisches Gedankengut in unserer Kirchengemeinde nachweisen lässt.

 Im 15. Jh. bekamen die Altarbilder zunehmend die Aufgabe, das Leiden Christi für das Abendmahl zu verdeutlichen. Es wurden zu dem Zweck von 1450- 1530 sehr viele Flügelaltäre in diesem Stil gefertigt. In Osnabrück hatten sich Werkstätten entwickelt, die zwischen 1510 und 1525 ihre absolute  Blütezeit hatten und in denen die sog. Meister von Osnabrück sehr viele und schöne Altäre schnitzten.

Mit dem Beginn  der Reformation wurden zunehmend weniger Altäre erstellt,  weil man nun Spenden für die Altarfertigung als „Werkgerechtigkeit“ betrachtete. Deshalb  nahm das Wirken dieser Osnabrücker Werkstatten ab 1525 ab. 

Nachdem zunehmend lutherisches Gedankengut nach Osnabrück kam, gab es 1525 einen reformatorischen Aufstand in Osnabrück, womit es zur Absatzkrise der Osnabrücker Kunstproduktion kam.  Die Produktion der Flügelaltäre kam dann gegen 1530 fast vollständig zum Erliegen.

Unser Altar von 1520 ist also zu Beginn einer Zeit entstanden, in der Gemeinden sich zunehmend der Reformation zuwandten, auch wenn die Äbtissin von Herford (Anna II von Limburg, 1524-1565) sich bis zum Aufstand des Volkes und des Rates von 1531 strikt weigerte, die lutherische Lehre, den lutherischen Gottesdienst und deutsche Lieder in der Herforder Münsterkirche zuzulassen.

Der erste Hinweis auf reformatorisches Gedankengut  in Rödinghausen stammt vielleicht aus dem Jahr 1528. Denn die Patronin unserer Kirche, eben die Äbtissin Gräfin Anna von Limburg aus Herford, setzt den Amtmann Johannes Lylien als Pfarrer in Rödinghausen  ein.

Der ist eben Amtmann und gar kein Geistlicher, so dass er weder predigen noch die Sakramente reichen darf.  Da Rödinghausen aber eine sehr gut dotierte Pfarrstelle hatte, hält der sich (wie seine Vorgänger auch) einen Kaplan, den er aus eigener Tasche bezahlt und der neben dem Vikar, der zweiten Pfarrstelle, diese Aufgaben für ihn erfüllt.

Dass 1528 ein Amtmann statt eines Geistlichen von der Patronin eingesetzt wird, zeigt entweder den Verfall der katholischen Kirche,  oder aber es ist eine vorsorgliche Entscheidung der Herforder Äbtissin gewesen. Vielleicht wollte die Patronin unserer Kirche, die übrigens ein Leben lang katholisch geblieben ist, aufgrund von rings herum aufkommenden reformatorischen Unruhen  durch eine Amtsperson Ordnung in Rödinghausen halten.

Immerhin hatte es 1525 in Osnabrück ja schon einen reformatorischen Aufstand gegeben. 1531 wird es so einen Aufstand dann auch in Herford geben.

Die Menschen wünschten sich eine verständliche Predigt und Lieder, die man mitsingen konnte. Dieser Gottesdienst wurde nach und nach in den Kirchen Herfords  eingeführt,- mit Ausnahme der Münsterkirche. Dort wollte es diese Äbtissin Anna II von Limburg nicht zulassen.

Doch 1531 versammelte sich dann auf dem neben der Kirche gelegenen Friedhof unter der Leitung des lutherischen Pfarrers Dr. Johann Dreyer eine Gruppe von Menschen, die unter freiem Himmel Luthers Lieder anstimmten.

Einige Wochen später stürmte dann eine Schar zum Herforder Münster, brach die Türen auf und verlangte von der Äbtissin, dass auch in der Herforder Münsterkirche ein kompletter evangelischer Gottesdienst gefeiert werden sollte.

Unter dem aufgebrachten Volk war auch der Scharfrichter der Stadt, Hans Muth, mit seiner roten Robe. Das soll der Äbtissin einen solchen Schreck eingejagt haben, dass sie zunächst floh und den Pfarrer Johann Dreyer den evangelischen Gottesdienste gestalten ließ, obwohl sie selbst  - wie gesagt-  ein Leben lang katholisch blieb.

Dieser Johannes Dreyer wurde 1532 dann erster lutherischer Prediger am Herforder Münster und verfasste die Herforder Kirchenordnung.

Ihre Durchführung wurde allerdings durch Einspruch des Herzogs Johann III. von Kleve und durch Spannungen mit Luther (wegen der beabsichtigten Schließung des Fraterhauses*) hinausgeschoben. Verlesen wurde die Dreyer'sche Kirchenordnung am 7. April 1532.

Man sieht: Die Reformation hat sich in Herford erst 1531 bzw. 1532 richtig durchgesetzt. Wann aber wurde Rödinghausen lutherisch?

Zu vermuten ist, dass schon nach 1525  (nach dem reformatorischen Aufstand in Osnabrück ) Rödinghausen zunehmend mit lutherischem Gedankengut in Kontakt gekommen sein wird.

Zumindest zeigt sich das spätestens bei der Visitation unserer Kirchengemeinde um 1533 durch den Herzog von Jülich, Kleve und Berg. Denn alle 3 Geistlichen von Rödinghausen (Pfarrer, Kaplan und Vikar) hatten 1533 Frau und Kinder.

Jost Deterding, der schon seit 1523 in Rödinghausen als Kaplan Dienst tut,  ist inzwischen sogar verheiratet. Zudem teilt er das Abendmahl nicht nur - wie katholisch üblich-   in Form der Oblate als Leib Christi, sondern - wie evangelisch üblich-   in beiderlei Gestalt, in Brot und Wein, an die Abendmahlsteilnehmer aus.

Bei der Visitation um 1533 durch den Herzog versucht die Kirchengemeinde Rödinghausen allerdings zunächst ihre Geistlichen  - trotz evangelischer Neuerungen -   zu decken und behauptet, dass ihre Pastoren sich an die katholische Ordnung hielten und keinen Grund zur Klage gäben.  Es gäbe keine Auswärtigen in der Kirchengemeinde, die Neuerungen oder andere Bräuche einführten.

Das lässt vermuten, dass die Gemeinde hinter ihren Geistlichen stand und lutherisches Gedankengut in Rödinghausen um 1533 inoffiziell  schon längst Einzug gehalten hatte.

Anderseits zeigt diese Reaktion auch, dass 1533 eine evangelische Kirchenordnung in Rödinghausen offensichtlich noch nicht eingeführt ist, obwohl  am Herforder Münster die Äbtissin auf Druck des Aufstandes von 1531 den lutherischen Gottesdienst zuließ und 1532 (7. April 1532) in Herford die Dreyer'sche Kirchenordnung verlesen wurde.

Wenn nun Rödinghausen schleichend seit 1525 und offiziell wohl nicht vor 1533 evangelisch wurde, ist es dann wahrscheinlich, dass unser Altar von 1520 reformatorische Elemente enthält?

In Auftrag gegeben hat unseren Flügelaltar Wilhelm von dem Bussche, der Erbherr zu Waghorst, der schon 1509 die Bartholomäuskirche vergrößern ließ. Er hat unserer Kirche die gotische Form gegeben und der Kirchengemeinde 1519 eine zweite Pfarrstelle gestiftet und mit Einkünften versehen.

Als Motiv für sein Engagement nennt Wilhelm von dem Busche, dass er das zur Ehre Gottes und der Himmelskönigin Maria sowie ihrer Mutter St. Anna und Johannes des Täufers getan habe. Es solle der Seligkeit seiner Frau und der Seelen seiner offensichtlich schon verstorbenen Eltern dienen. 

Das klingt nun doch noch sehr katholisch, wenn er seine Stiftungen sogar damit begründet, dass sein gutes Werk als Ablass für das Seelenheil seiner verstorbenen Eltern dienen soll.

Ich vermute daher, dass Wilhelm von dem Busche auch den geschnitzten Flügelaltar, der  11 Jahre später, also Juni 1520, fertiggestellt und geweiht wurde, aus diesem Beweggrund, nämlich zum Ablass für Sünden gestiftet hat.

Zu diesem Zeitpunkt ist  vermutlich auch  bei Wilhelm von dem Busche noch keine theologische Unsicherheit hinsichtlich der Wirksamkeit des Ablasses und der guten Werke erkennbar, die wenige Jahre später (ab 1525 bis 1530) die Osnabrücker Kunstproduktion fast vollständig zum Erliegen bringt.

Ganz im Gegenteil. Die Zeit von 1480 bis 1520 war überall in Deutschland nicht nur von der Qualität, sondern auch der Masse nach, die bei weitem produktivste Zeit der deutschen mittelalterlichen Kunstgeschichte.

Wie kam das? Es kam dadurch,  dass Papst Sixtus IV. 1476 den sogenannten „übertragbaren Ablass“ einführte. Dieser Ablass ermöglichte Spendern, für bestimmte Personen – auch für schon Verstorbene –  das Fegefeuer im Jenseits zu mildern. Den nachfolgenden Päpsten war diese Idee besonders hilfreich,  um Spenden für den Bau der Peterskirche zu sammeln.

Das Fegefeuer war nach katholischer Auffassung das unangenehme „Wartezimmer für das Paradies“. Und wer die Mittel dafür hatte, dem wurde versprochen, dass er mit diesen Mitteln die Fegefeuerzeit verkürzen oder sogar beseitigen könne.

Die Mittel des Ablasses und der Werkgerechtigkeit kamen den Wünschen  vieler Gläubigen nach Jenseitsvorsorge entgegen. Doch mit der Ausbreitung des Glaubensverständnisses Martin Luthers und seinem Kampf gegen den Ablass ab 1517 nahm die Stiftungsbereitschaft, die um 1500 in ganz Deutschland  zu einer Blüte der Kirchen und Kirchenkunst geführt hatte, allmählich ab.

In einer Predigt von 1522 betonte Luther ausdrücklich, dass so verstandene Altarstiftungen nicht zulässige Werkfrömmigkeiten seien.

Diese neue Glaubenshaltung entzog  den Stiftungen die Basis, was für die Künstler gravierende wirtschaftliche Folgen hatte, wie am Beispiel der Osnabrücker Meister deutlich wurde. Deren Tätigkeit kam bis 1530 fast vollständig zum Erliegen.

Also keine reformatorischen Elemente in unserem Altarbild? Das wird man so nicht sagen können!

Worum ging es denn Luther und der Reformation  im Wesentlichen?  Was ist der zentrale Begriff, den er durch die Schrift wiederentdeckt hat?

Es ist nicht der Begriff „Ablass“. Und es  sind  auch nicht die oft zitierten Wendungen: „Allein durch die Schrift“, „allein durch Christus“, „allein durch Gnade“.  Sondern der zentrale Gedanke der Reformation ist: „Allein durch den Glauben“! Die Wiederentdeckung des Glaubens ist Luthers zentrale Erkenntnis. Was aber versteht Luther unter „Glauben?“

Luthers Ausgangsfrage, die ihn umtrieb, war ja: „Wie finde ich einen gnädigen Gott?“ Seine Antwort: „Nicht dadurch, dass ich gute Werke vollbringen muss, sondern dadurch, dass ich eine vertrauensvolle Beziehung zu Gott habe.“

Und Luther erklärt in seiner Schrift „Von den guten Werken“, die er im selben Jahr verfasst hat, in dem unser Altarbild vollendet wurde, nämlich 1520, wie diese vertrauensvolle Beziehung zu Gott und Jesus Christus uns jede Angst nimmt, etwas leisten zu müssen.

Er vergleicht diese vertrauensvolle Beziehung zu Gott mit der Liebe von Mann und Frau. Diese Beziehung motiviert Menschen aus Liebe füreinander einzustehen und zu handeln. Das Handeln füreinander ist innerlich (intrinsisch) motiviert und nicht durch äußere Pflichten. Und sie beruht auf Gegenseitigkeit.

Wahre Christen spüren, sagt Luther, dass Gott uns so sehr liebt, dass er in seinem Sohn zum größten Selbstopfer für uns bereit war und dass wir geliebt sind. Und wenn einen diese Liebe Gottes anrührt, dann geschehen „gute Werke“, die Luther durchaus kennt, nicht aus Pflichtbewusstsein, sondern automatisch aus dem Vertrauen und der Liebe zu Gott und unseren Mitmenschen.

So verstanden, kann Luther  „gute Werke“, auch Stiftungen, die er „ohne Glauben“ verurteilt,  gutheißen, nämlich wenn sie aus Glauben geschehen. Ja sie sind als Konsequenz rechten Glaubens zu erwarten.

Geht es in der Reformation also zentral um diese vertrauensvolle Beziehung von Gott und Mensch, dann finden sich in der Tat „reformatorische Elemente“ in unserem Altarbild.

Das augenfälligste Element bildet das Zentrum unseres Altars. Gott opfert sich in seiner Liebe im gekreuzigten Christus für uns auf, um unsere Liebe zu ihm und unseren Mitmenschen zu wecken.

Gottes Engel, bieten nicht nur dem flehenden Schächer am Kreuz  - „Gedenke meiner in deinem Reich“  -   mit dem Abendmahlskelch diese liebevolle Beziehung an; sondern ein Engel richtet diesen Kelch auch zur Gemeinde hin aus, - zu uns hin aus, damit Gottes Liebe uns zu sich zieht.

Der römische Hauptmann unter dem Kreuz hat es verstanden: Angesichts des Sterbens Jesu offenbart Gottes Liebe ihm: „Das ist wahrhaftig Gottes Sohn!“

Nicht anders ergeht es offensichtlich der Frau, die direkt unter dem Kreuz zu Jesu Füßen sitzt und die dem Betrachter den Rücken zuwendet. Es ist die Ehefrau des großen Stifters unserer Kirche. Für ihre Seligkeit hatte Wilhelm von dem Busche 1509 unsere Kirche umbauen lassen, 1519 die zweite Pfarrstelle gestiftet und nur ein Jahr später auch noch den Altar.

Ihr Sitzen unter dem Kreuz symbolisiert eine demütig vertrauensvolle Beziehung zu Jesus. Aber nicht nur sie rührt an, sondern auch die Liebe des Stifters zu seiner Frau, der  -sich selbst ausnehmend-  für sie das Altarbild gestalten ließ.

Zu dieser vertrauensvollen Glaubenshaltung der Patronatsfamilie von dem Busche passt es, dass  die Erbherren der Waghorst,  ihre Zuwendungen an die Rödinghausener Kirche auch nach der Reformation  fortsetzten. 1585 wurde von ihrem Geld der Turm erhöht und beendet; 1588 die holzgeschnitzte Kanzel gestiftet.

Offensichtlich änderte der allgemeine Konfessionswechsel  nichts an dem Verbundenheitsgefühl derer von Korff zu Waghorst gegenüber der Bartholomäuskirche.  Sie erbten 1523 Gut Waghorst von dem offensichtlich kinderlosen Ehepaar von dem Busche.

So scheint  der Umbau unserer Bartholomäuskirche, die großzügige Stiftung der zweiten Rödinghausener Pfarrstelle um 1519 und die Stiftung unseres Altars von 1520 das letzte große Vermächtnis des gealterten Ehepaares von dem Busche gewesen zu sein, die nur 3 Jahre nach Einweihung des Altars bereits beide verstorben sind. Ein Ehepaar, das offensichtlich nicht nur  zueinander in Liebe verbunden war, sondern allem Anschein nach alles von Gott erwartete, wo ihnen doch jede Hoffnung auf ein Fortleben in ihren Kindern verwehrt schien.

Wer will bestreiten, dass die darin zum Ausdruck kommende vertrauensvolle Beziehung zu Gott genau dem entspricht, was Luther „wahren Glauben“ nennt?

gez. Pfr. Gerhard Tebbe

 

* Das Fraterhaus Herford war eine Niederlassung der Brüder vom gemeinsamen Leben im ostwestfälischen Herford. Es bestand von 1428 bis 1801, seit 1525 als lutherische Einrichtung

Barth.-Kirche um 1893

Wappen derer von dem Bussche

Die Mitteltafel